hotelzimmer
Performance

Im Rahmen vom Festival NEULAND
Gaskessel Bern
14. Juli 2012

PerformerInnen:
Anina Weber, Céline Dettwiler, Gabrielle Uetz,
Glynis Ackermann, Ida Sons, Kay Kysela,
Kurt Krüsi, Peter Voser, Rachel Wüst,
Ralph Engelmann, Rosina Campiche

Künstlerische Assistenz, Kamera: René Hofstetter, Sara Lüscher
Sound: Collage aus v4w.enko & d’incise, Pansonic, hofli & kit clayton, div. sound effects



»#h3K16« ist der Titel, den Suzana Richle ihrer installativen Performance gibt. Ich stehe etwas ratlos davor, kann keine Bedeutung zuordnen. Der Griff in die Tastatur hilft nicht weiter und auch zu h3K16 liefert die Suchmaschine nur enigmatische Resultate. Nachdem ich den Titel beim Lesen des Flyers kurz wahrnehme und sich mir seine Bedeutung nicht erschliesst, mache ich mich auf den Weg zum Gaswerkareal in Bern, auf welchem die Performance stattfindet. Für diesen Abend ist Regen vorausgesagt. Davon unbeeindruckt bedeckt sich der Himmel nur wenig, der Platz vor dem Gaskessel erscheint bei meinem Eintreffen in warmem Abendlicht.

Den Kessel im Rücken setze ich mich. Orange Wimpel markieren den geteerten Platz vor mir, wiegen sich sanft im Wind. Erwartungsvoll leer ist er. Gegenüber steht eine einsame Bar, dahinter ein verlassenes Karussell, dessen Antikvehikel in Reih und Glied ihrer LenkerInnen harren. Lautsprecherboxen mit orangenen Kabeln betrieben werfen ihre Geräusche in diesen Raum, ziehen eine Mischung aus Zirpen, Knattern, Rauschen und Grollen unter die Hintergrundgeräusche der Vorbereitungen für die Abendveranstaltung der Produktion „NEULAND“, welche im Anschluss an die Performance stattfindet: scheppernde Aluminiumtischbeine, geschäftige Zurufe, Sägen, Schritte, undefinierbares KlappaufundKlappzu. Technoide Störgeräusche flechten sich ein, um mal schrill mal pochend jäh aufzutauchen und sogleich wieder mit dem Geräuschteppich eins zu werden.

Gestaffelt betreten Zwölf zielstrebig den Platz: unter anderen „Frau Lackrot“ – ich ertappe mich dabei, die Erscheinungen zu bedeuten und lasse mich gewähren, wenn auch inkonsequent, da nicht alle auf einen Namen zu bringen sind, oder sie sich mir nicht einprägen - , farbverwandt „Fakir“ in rotem Lendenschurz, dann noch eine Frau in Plastikstiefeln und blauem Overall. Den Schritt ebenso bestimmt verlangsamend kommen alle Zwölf auf dem Platz verteilt zum Stillstand. Die halbtransparenten Plastikstiefel von „Overall“ kleben an ihren Füssen. Sie werden ausgezogen und auf den Platz gestellt, leisten roten Lackhacken und schwarzen und blauen Latschen Gesellschaft. Weisses Schuhwerk hingegen bleibt an den Füssen. Zwölf sinken an Ort und Stelle zu Boden um sich in zuweilen grotesk anmutenden Positionen einzufinden, darin einzurasten.

Sie weilen. „Die schlafen!“ irrt sich ein Kind. Sie schlafen nicht. Der stechende Blick des jungen Mannes mit lachsfarbener Kopfbedeckung trifft mich unerwartet, doch nein, er zielt an mir vorbei, mag sich hinter mir in die Gaskesselwand bohren. „Lackrot“ – jung wirkt sie, doch ist sie es nicht - blinzelt in den Himmel. Da setzt sich das Karussell in Bewegung. Niemand da, nur Geisterfahrer womöglich. Dunkel gähnt mir das Fensterloch der Tickethütte entgegen, während Zwölf sich endlich aus der Starre lösen, gestaffelt wiederum. Träge suchen sie eine neue Position. Schlaffe Hände werden über den Teer gezogen, gleichwohl vorsichtig. Die teerene Härte bringt die Bewegungen ins Stocken, setzt bordeauxgestreiften Strümpfen wie auch der Haut über den Knöcheln zu. Man stützt sich auf, bettet sich um. „Overall“ hängt ganz unnatürlich über dem Randstein, der Kopf füllt sich mit Blut, die Ader zwischen Nase und Haaransatz pocht zwischen den geradeaus gerichteten Augen. Links kniet eine „weissgestiefelte Blume“, lässt die Fersen nach aussen, den Kopf nach vorne fallen. Ihn ziehen ihre dunklen Haare unablässig in Richtung Boden.

Laut und elektronisch tauchen Geräusche auf, balzen dann und wann mit Flugmotorlärm. Störung in der Leitung. Das Karussell steht wieder still. Im Tickethäuschen hat ein Mann im Fensterrahmen Platz genommen und gefröre beinahe zum Ahnenbild, wären da nicht seine trommelnden Finger. Daneben zucken des „Fakirs“ Oberschenkelmuskeln. Derweil zeigt „Lackrot’s“ Fuss im Vordergrund schräg nach oben, führt aus dem Geschehen heraus, eine ballettöse Linie nachzeichnend und zittert, stark sogar. Fakirbein und Lackrotfuss zittern und zucken im Gleichtakt.

Damit ihr Bauch möglichst keine weiteren Störgeräusche hinzufüge oder gar die in unbestimmbare Gefilde blickenden Ohnmächtigen nicht wecke, hält ihn die Schwangere fest, welche auf der Seite durchs Bild huscht. Andere von dieser entrückt, abgehackt zähflüssigen Stimmung schläfrig gewordenen ZuschauerInnen sind in ihren Stühlen hinabgesunken, stützen ihren Kopf auf oder hängen an der Bar.

Im Nachhinein lasse ich mich aufklären: Die ZuschauerInnen waren gespielt. „Und“, fällt mir ein, „da war doch etwas!“ Ich schaue nach und lese:„»#h3K16«.“ Die gerettete Fliege putzt sich. Der Titel beziehe sich, so Suzana Richle, auf das Thema der Produktion NEULAND, welches von der Sehnsucht nach Veränderung und von der Suche nach dem Ursprung des Willens zu widersprechen, stand zu halten handelt. Wären »#h3K16« demnach als Störzeichen zu lesen, als Widerstand?

Hinter mir füllt es sich. Gäste reihen sich ein und warten auf ihren Einlass zur Abendvorstellung. Zunächst noch leicht gedämpft werden ihre Gespräche zunehmend lauter, konkurrieren das Geschehen im Vordergrund. Unbeirrt fahren Zwölf fort in die Ferne zu blinzeln, sich auf unsichtbares Kommando von Position zu Position zu wälzen. Dann werden die Gäste eingelassen. Ihr Geplauder verebbt. Zirpen und Pochen erobern den Raum zurück. Orange Wimpel bewegen sich im Wind. Ein Vogel pfeift.

Die Frau in halbtransparenten Strümpfen dreht sich, ein Faden bleibt für Momente am Teer hängen, widersetzt sich ihrer Drehung und wird lang und länger.
Ton aus.

Vera Harder